Tuesday, February 20, 2024

Buchempfehlung: "Es wächst ein Licht in deinem Fehlen" von Giannina Wedde

 

Das Leben ist voller Abschiede unterschiedlichster Art und Intensität, gleichwohl haben sie oft gemeinsam, daß sie unumkehrbar sind. Daher möchte ich den Band "Es wächst ein Licht in deinem Fehlen - Ein Trost- und Trauerbuch" von Giannina Wedde ganz allgemein empfehlen. 

Persönlich glaube ich, daß wir auch für andere Lebenssituationen sehr viel lernen können vom Umgang mit Trauer, weit über das Thema Trauern hinaus. Als Literaturwissenschaftler bin ich fest überzeugt von der Kraft der Poesie und Giannina Weddes poetische Texte sind für mich ein weiterer überzeugender Beweis dafür, wie sehr Poesie uns wohltun kann.


Die Autorin verbindet mit jedem Kapitel einen kurzen Einführungstext, der zu den Gedichten überleitet und erhellende Gedanken zum Thema liefert, die ich aus meiner eigenen Lebenserfahrung allesamt vollumfänglich bestätigen kann. Es ist ein Buch, das helfen will, Auswege aus der Einsamkeit, der Verdrängung und Trostlosigkeit zu finden. 

Vielleicht kennt ihr das: Vielen Menschen helfen religiöse Antworten nicht, weil sie das "Brennen der Trauer" nicht lindern und die scheinbar bewährten Trostworte "heute leer und fremd" klingen, wie Wedde in ihrem Vorwort schreibt. Es geht ihr um einen freieren, gesünderen und gemeinschaftlicheren Umgamg mit Sterben, Tod und Trauer. Sie verweist auch darauf, daß der "poetische Blick" nicht nur bei der Bewältigung von Trauer hilft, sondern darüber hinaus einen schöpferischen Umgang mit allen Lebenswirklichkeiten erlaubt.

Das Thema Trauer erinnert uns aber ebenso an die Frage, wie wir mit unserer eigenen Sterblichkeit umgehen wollen, konfrontiert uns mit vielen Aspekten unseres Selbst, die wir vielleicht noch nicht kannten sowie zahlreichen weiteren, für uns als Mensch und Persönlichkeit existenziellen Fragen. Trauern ist in diesem Entwicklungsgang für Wedde schließlich ein Weg, der auf "eine neue Weise ins Leben führt".  

Und vielleicht geht es euch ja beim Lesen so wie mir und ihr seid einfach glücklich erstaunt über die emotionale Wucht und hoffnungsfrohe Strahlkraft dieser Texte.


Thursday, February 1, 2024

Vom Erfolg gewaltfreier Aufstände

In diesen sehr turbulenten Zeiten zwischen Spaltung der Gesellschaft, Wirtschaftskrise, neoliberalem Totalitarismus, Diktatur der "richtigen" Gesinnung, Fassaden-Demokratie und der Androhung von Bürgerkrieg oder sogar drittem Weltkrieg magst auch du dich fragen, was man machen kann, wie Veränderung zum Positiven möglich ist.

Daher möchte ich hier einen Hoffnungsmacher zitieren. Es geht um die Forschung der Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, die sich der unangenehmen, aber sehr wichtigen Frage gestellt hat, wie viel Gewalt eigentlich notwendig ist, um wirklich politischen Wandel zu erreichen. Muss es dazu Tote geben? Reicht es Straßen zu blockieren und Autos anzuzünden? Oder geht es doch auch gewaltfrei?

Lange ging sie von dem aus, was wir aus dem Geschichtsunterricht kennen: französische Revolution, russische Revolution und so weiter  und sie war fest davon überzeugt, dass gewaltfreier Protest auf keinen Fall funktioniert, wenn man es mit einem rücksichtslosen Diktator zu tun hat, der über Leichen geht.

Deshalb nahm sie die Herausforderung an, als sie nach einem workshop aufgefordert wurde, empirisch zu beweisen, dass gewaltvoller Widerstand effektiver ist als gewaltfreier. Null Problemo, oder? Die Beweisführung sollte nicht allzu aufwändig sein...

Zwei Jahre lang recherchierte sie und sammelte alle verfügbaren Daten zu allen großen gewaltvollen und gewaltlosen Widerstandsbewegungen - aus der ganzen Welt, immer unter der Voraussetzung, dass mindestens 1000 Menschen sich an diesem Protest beteiligt hatten. 

Ergebnis: Von 1900 bis 2006 waren gewaltfreie Kampagen weltweit doppelt so erfolgreich wie gewaltvolle! Tendenz steigend - sogar unter extrem autoritären und unterdrückenden gesellschaftlichen Bedingungen!

Doch wie konnte das möglich sein?

Ihre Erkenntnis: Keine einzige Widerstandsbewegung war gescheitert, wenn sie die aktive und aufrechte Unterstützung von 3,5% der Bevölkerung hatte. Interessanterweise war jede der von ihr analysierten Protestbewegungen, die mehr als 3,5% Unterstützung seitens der Bevölkerung hatte, auch gewaltfrei gewesen. Sie folgerte daraus, dass jede Widerstandsbewegung Erfolg hatte, die gewaltfrei war und hinter der mindestens 3,5% der Bevölkerung standen.

Doch warum ausgerechnet 3,5% ? Die vielleicht gar nicht so überraschende Antwort: Weil Menschen miteinander vernetzt sind. Bereits 3,5% der Bevölkerung haben überall hin Verbindungen - eben auch zu Politikern, Unternehmern, Polizei, Verwaltungsbeamten, Medien usw. - somit also Menschen, die einerseits als Multiplikatoren fungieren, selbst allerdings auch mehr Einflußmöglichkeiten und Macht haben als der Durchschnittsbürger. Auch diese Menschen bekommen Zweifel oder werden sogar nicht nur Sympathisanten, sondern sogar selbst Teil des Protestes. 

Es geht also darum, dass Widerstand persönlich wird, persönliche Betroffenheit entsteht und dadurch Menschen nicht mehr bereit sind, weiter mitzumachen. So kam und kommt es, dass Polizisten zum Beispiel nicht auf Demonstranten schießen - trotz entsprechendem Befehl. Schießt du auf eine Menge, von der du nicht weißt, ob da nicht vielleicht auch deine Freunde oder womöglich deine Kinder dabei sind?

Erica Chenoweth kam für sich zu dem Schluß, dass wir an das Funktionieren von Gewalt glauben und dass wir für gewöhnlich Gewalt mit Mut verwechseln, weil wir durch Schule und Medien entsprechend konditioniert werden.

Heute setzt sie sich dafür ein, dass mehr Menschen, vor allem Kinder, von der Wirkmacht gewaltfreien Widerstands erfahren, z.B. im Geschichtsunterricht.

Denn letztlich hinterlässt gewaltfreier Widerstand eine Gesellschaft in einem freieren, friedvolleren und gerechteren Zustand als vorher.

-> Mein herzlicher Dank geht an das Rudolf Steiner Haus Hamburg, die mich auf meinen großartigen Künstlerkollegen Calle Fuhr aufmerksam machten, der diese Geschichte nicht müde wird zu erzählen :=). 

-> Wer mehr Details erfahren möchte, findet sie in Calle Fuhrs Artikel "Erica: Revolution mit 3,5%" in der Zeitschrift Brennstoff, Ausgabe 63, Jänner 2023, S. 14-17 (www.brennstoff.com).



 

 

Kriminell? Versuch einer Umschreibung "extremistischer Kunst" in Deutschland

   Versuch einer Umschreibung des Begriffs „Extremismus“ für den Bereich Kunst:   These 1 : „Extremistische Kunst“ umfasst künstlerische Pos...