Friday, June 23, 2023

Weltschreibmaschinentag 2023 - 150 Jahre Schreibmaschinen!

Bis Schreibmaschinen in der uns heute bekannten Form entstanden, wurde "die" Schreibmaschine von ganz unterschiedlichen Personen über fünfzig Mal "erfunden", darunter visionäre Handwerker, geplagte Buchhalter, technik-begeisterte Rechtsanwälte, menschenfreundliche Ärzte und Pfarrer, kurzum: Menschen "from all walks of life" - und eben nicht nur von prominenten Erfindern wie Wolfgang von Kempelen (genau, der mit dem "Schachtürken"), aber der war beispielsweise auch dabei.

Die weltweite Gemeinschaft heutiger Schreibmaschinen-Enthusiasten hat sich darauf geeinigt, den Beginn der Schreibmaschine auf das Jahr ihrer erstmaligen Massenproduktion zu datieren, weshalb wir in diesem Jahr - und besonders am Weltschreibmaschinentag - das 150-jährige Jubiläum der Schreibmaschine feiern!

Heute benutzen Menschen Schreibmaschinen nach wie vor um Briefe zu schreiben und Formulare auszufüllen, aber auch das Schreiben persönlicher Journale (Trend "journaling") hat viele (wieder) zur Schreibmaschine gebracht. Schreibmaschinenschreiben tut einfach gut und ist eine herrliche Methode um "runterzukommen" ...

Einen besonderen Stellenwert haben Schreibmaschinen heute für Kreative, die die Konzentration und den "flow" schätzen, mit der sich auf der Schreibmaschine intensiv und ablenkungsfrei Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher, Gedichte oder Rohfassungen für spätere Texte und Projekte schreiben lassen. Weil das so viel entspannender und "heilsamer" ist als digitale Medien, werden Schreibmaschinen 150 Jahre nach ihrem "Durchbruch" auch sehr gerne wieder von avantgardistischen "digital natives" benutzt. 

Wie vielseitig sich Schreibmaschinen für kreative Zwecke einsetzen lassen, beweist darüber hinaus ein Blick in die zeitgenössische Kunst. Ja, man kann sie vom Schrottplatz holen und atemberaubende Skulpturen aus ihnen bauen - hier auf dieser Seite siehst Du weiter unten eine Kunst, die die Schreibmaschinen unversehrt lässt und Schreibmaschinen benutzt um erstaunliche Kunstwerke auf Papier entstehen zu lassen.

-> Wer mehr über das heutige Leben mit Schreibmaschinen erfahren möchte, sprich: wie, was, wo, woher, wozu, weshalb, warum und was das mit Dir möglicherweise macht, findet hier Richard Polts Standardwerk zum Thema:

https://typewriterrevolution.com/

-> Einen exzellenten Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Schreibmaschinen findest Du hier:

https://www.schreibmaschinenmuseum.com/de/

-> Hier erhälst Du einen ersten Einblick in die Schreibmaschinenkunst von James Cook:


 H A P P Y   T Y P E W R I T E R   D A Y !


 




Tuesday, June 6, 2023

Gastbeiträge von Nadine Hagen

Die Academia Tancredi freut und beehrt sich, mit der Hamburger Autorin Nadine Hagen eine weitere faszinierende neue Stimme der zeitgenössischen, deutschsprachigen Literatur vorstellen zu dürfen.Wir wünschen viel Freude mit den Kostproben aus ihrem Werk.

***

 Grauzonen

Rauschen. Unklar. Stimmen. Vögel.
Laune. Lila Laune.
Fragen. Was für Fragen?
Morgen? Morgen frage ich nach der Stunde.
Wofür Stunde? Zeit.
Zeitung. Kram. Blinde Struktur.
Leeeeeeere. Leerstelle. Fragen.
Lustig. Fragen.
Wen fragen? Mich fragen? Was fragen?
Antworten. Antworten erhalten.
Du bist doof! Haha.
Jaja. Lila Laune. Gras Grün.
Feierabend. Pause.
Ich gehe stramm.
Wildes Zeug. Kein Zeug. Morgenröte. Schamesröte. Klaro.
Schamesröte.
Weswegen denn?
Die Schur der Wolle erfolgte gestern. Schafswolle. Pelzwolle.
Haarwolle.
Schamesröte. Nein. Lila Laune.
Langatmiges Gequatsche. Julian.
Julian mag Kohlrüben.
Braune Erde mit pinken Tupfen.
Pinke Tupfen werden blau lila grün.
Leere. Stille.
Zeitungsgeraschel am frühen Morgen führt zur Morgenröte am
Abend.
Buchstaben springen in hohen Bögen raus. Auszeit von der Welt.
Vom Raum. Vom All.
Allzeit bereit zu gehen. In den Tod.
Der Tod kommt immer. Immer wieder. Jedes Jahr. Jeden Tag.
Jeden Morgen.

 

Grauzonen 

Morgenröte. Uh, die Morgenröte.
Kinderlachen schallt von der Schallplatte. Dunkle Rillen.
Tiefe Furchen zu neuen Ufern aufbrechen und sterben.
Ich sterbe NIE! Niemals.
Immer geradeheraus. Schweig.
Niemals. Schweigsam ist der Tod. Der Tod schweigt sich aus,
bis die Zeit verstummt. Verronnen ist. Gestorben ist.
Aufgelöst. Luftleerer Raum. Tagträumerei.
Morgen stehe ich nie wieder auf.
Liegenbleiben. Pause machen.
Fürsorglich. Für mich sorgen. Für dich sorgen.
Essen, schlafen und trinken.
Bier, Wein, Brot und Kuchen essen.
Blaubeerkuchen.
Blaue Beeren springen vom Brot.

 

***

 

Spiegelungen

Gefühlt ist Mia diesen Waldweg schon hundert Mal gegangen. Für
sie ist es nicht nur „ein“ Waldweg, es ist „der“ Waldweg. Er
führt sie zu einem kleinen See in einer Waldlichtung.
Es ist noch früh am Morgen. Die Luft fühlt sich kühl und
feucht an. Sie saugt den Duft der Bäume ein. Sie hört ein
Knacken im Unterholz und sieht Rehe davon springen. Die
Sonnenstrahlen werden durch die Baumkronen abgeschirmt. Das
morgendliche Blau des Himmels fällt durch vereinzelte Lücken
des Blätterdachs.
In der Ferne erscheint die Waldlichtung. Am Ufer des Sees
setzt sie sich in das noch feuchte Gras. Ihr ist es egal, dass
ihre Hose vollkommen nass sein wird. Sie schaut ins Wasser.
Dort liegt ihr Abbild. Im See. Ganz allein.


Beinahe sieben Jahre ist es her, dass sie genau an diesem Ort
mit Johannes war. Johannes und Mia redeten nicht viel, sondern
saßen mit Blick auf den See, stundenlang in sich versunken
dort. Sie mussten sich verabschieden. Johannes würde
fortziehen.
Es gab kein gemeinsames Foto, nur die Erinnerung an eine
gemeinsame Spiegelung in diesem See. In der Waldlichtung.
Ihrer Kraftoase.

 

***

 

Toteninsel 

Mein Mann ist verstorben.
Als Seefahrer war er zehn Jahre auf den Weltmeeren unterwegs.
Auf hoher See meisterte er Stürme, Monsterwellen und Flauten.
Als ihn aber eine Lungenentzündung erfasste, war er machtlos.
Sein Körper war zu ausgezehrt. Drei Jahre schlechte Ernten auf
unserem kleinen Stück Land und kaum noch Ersparnisse, um die
teuren Lebensmittel bezahlen zu können.
Innerhalb von vier Tagen verstarb er im Alter von nur 43
Jahren. Matthias wünschte sich eine weiße Trauerfeier.
 

Jetzt stehe ich hier auf dem Boot in weißer Trauerkleidung vor
dem Sarg. Wir steuern die Toteninsel an. Caron der Fährmann
rudert stumm das Boot über den spiegelglatten See. Der Anblick
der Insel lässt mich frösteln. Sie wirkt so unecht, so
surreal, eigentlich nicht existent, aber ich sehe sie und ich
sehe den Sarg meines Mannes. Am liebsten würde ich mich
dazulegen. Wie soll ich morgen mein Essen zu mir nehmen, wenn
ich weiß, dass ich nun für immer alleine essen muss.



Zeitzeichen 2: Die Dogmen

    "systemrelevant" "alternativlos" "nebenwirkungsfrei" "Wir schaffen das!"