Fragst Du Dich manchmal, wie eine menschenwürdige Gesellschaft aussehen könnte, die wirklich funktioniert und in der die Menschen in Harmonie mit sich selbst und anderen leben können?
Kommt Dir das Leben in unserer gegenwärtigen Gesellschaft immer irrer vor? Schaffst Du es langsam nicht mehr, die Glaubenssätze und Tabus unserer Zeit noch ernst zu nehmen?
Erfährst Du das, was uns in überregionalen Medien als „alternativloser Fortschritt“ verkauft wird, immer mehr als nachteilig für Deinen konkreten Alltag?
Dann ist das auch in Deutschland mühelos erhältliche Buch „Retrotopia“ von John Michael Greer vielleicht eine großartige Quelle der Inspiration für Dich.
Worum geht es?
Im Jahr 2065 sind die USA nach einem Bürgerkrieg in diverse Teile zerfallen. Der größte Teil der Menschen dieses Nachkriegsamerikas lebt am Existenzminimum in Elendsquartieren - trotz High Tech. Peter Carr, Mitglied des Beraterstabs der neugewählten Regierung der „Atlantic Republic“ besucht zwecks einem eventuellen Handelsabkommen die benachbarte „Lakeland Republic“.
Hier kann er weder seinen Augen noch seinen Überzeugungen trauen: Er erlebt Wohlstand, Harmonie und inneren Frieden in einem Land, das seine Zukunft an den besten Erfahrungen der Vergangenheit ausrichtete und in dem er mit der Behauptung konfrontiert wird, seine „Atlantic Republic“ erlebe ihr Elend nicht trotz, sondern wegen High Tech!
Das kann nicht sein, oder?
In dem spannend und lebendig geschriebenen Roman begleiten die Leser nun Peter Carr durch die verschiedenen Provinzen der „Lakeland Republic“, erfahren, warum Demokratie, Wirtschaft, Finanz- und Bildungssystem dort funktionieren, eben weil diese Gesellschaft sich aus freien Stücken für die besten Elemente aus der Zeit zwischen 1900 und 1950 entschieden hat.
Der Autor erweist sich dabei als kompetent in Sachen Wirtschafts- und Technikgeschichte, aber auch in Makro-Ökonomie. Für Menschen, die wie wir in einem Land leben, in dem „Globalisierung“ und Turbo-Kapitalismus herrschen, fällt der Vergleich zwischen „Atlantic Republic“ und „Lakeland Republic“ sehr ernüchternd aus.
Die Rundreise durch die „Lakeland Republic“ nimmt den Lesern Schritt für Schritt ihre Zweifel gegenüber der „Lakeland Republic“, die sich schließlich als Vorurteile erweisen. Da sind dann auch ein paar „Knaller“ dabei, z.B. in Sachen Militär-Strategie: „We don’t have to defeat them. […]All we have to do is bankrupt them.“ Der Roman erschien zuerst 2016, wurde nun neu aufgelegt und Passagen wie diese dürften heute bei vielen Lesern ein Aha-Erlebnis auslösen...
Oder etwa die Dauer-Wirtschaftskrisen, Dauer-Beschäftigungskrisen, Dauerkonflikte in der Verteilung der Vermögen, deren Lösung immer weiter in die Zukunft verschoben wird und die nie eintritt. Und wie würde unsere technische Welt aussehen ohne die versteckten Subventionen durch die Allgemeinheit, die „High-Tech“ erhält?
Und wie sieht es mit einer fairen Beurteilung der Schattenseiten von High-Tech aus? Wie hoch ist der Nutzen für die Allgemeinheit wirklich im Vergleich zu dem Ressourcen-Verbrauch und dessen wahren Kosten? Wie sicher ist High-Tech (von Atomenergie bis Gentechnologie) wirklich? Ist das fragmentierte Wissen, das wir über digitale Medien erhalten dem kontext-reichen Wissen aus Büchern und Printmedien wirklich überlegen? Wie viele Probleme hat die Privatisierung von Gemeingütern wirklich gelöst?
Der Roman stellt die gegenteilige Position auf anschauliche und mitreißende Weise zur Diskussion. Die weibliche Hauptfigur des Romans behauptet als „Lakelanderin“ konkret, dass wir in einer Zeit leben, in der „progress has become the enemy of prosperity“ und glaubt: „[…] There was a time when progress meant prosperity, but we passed that point in the late twentieth century, and since then, every further increment of progress has cost more than it’s worth - and yet the rest of the world stays stuck in the past, pursuing an ideology of progress that doesn’t work anymore. […] One more round of innovation, one more economic boom and bust, and the rest of the world is going to progress itself straight into the ground.“
Und so haben die Lakelander dann auch kein Problem, als eine Kettenreaktion zerstörerischen Weltraum-Schrotts die Infrastruktur der Atlantiker entscheidend schädigt und das Land fast in eine Katastrophe stürzt. Und dann ist da auch noch die „lithium crisis“...
Für mich persönlich war ein Schlüsselsatz des Romans: „Sure, you’ve got the metanet; does that make up for everything you do without?“
Vielleicht sollten wir aktuell diesen Gedanken angesichts der immensen Probleme einer Generation von jungen, massiv depressiven „digital natives“, von denen Tausende weder einen Stift halten, noch einen Nagel in die Wand schlagen, geschweige denn kochen oder mit anderen Menschen auskommen können, einmal sacken lassen?
Mein ganz herzlicher Dank für diesen Buch-Tipp geht an Richard Polt, der nicht nur ein großartiger Philosophieprofessor, sondern auch der Autor des Buches „The Typewriter Revolution“ ist, das hier erhältlich ist.